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#StoryFriday: Kubilay Karaer

Beim #StoryFriday erzählen wir freitags Geschichten von Menschen, die aus schwierigen Verhältnissen stammen und von Chancengleichheit profitiert hätten. Heute mit Kubilay Karaer:


Ich heiße Kubilay Karaer, bin 27 Jahre alt und als Kind türkischer Einwanderer in Bielefeld geboren und aufgewachsen. Dem Gymnasium mit abgeschlossenem Abitur folgten Bachelor- und Masterstudium in Friedrichshafen, Taipei, Berlin und New York. Seit nicht allzu langer Zeit bin ich als Unternehmensberater mit technischem Fokus tätig. Meine Eltern kamen in sehr jungen Jahren nach Deutschland, wo sie sich später kennenlernten und letztlich auch blieben bzw. noch immer sind. Während ihrer schulischen Laufbahn in Istanbul war meine Mutter eine vorbildliche Schülerin und hatte sehr gute Noten vorzuweisen, bevor sie in der weiterführenden Schule aus ihrem Umfeld herausgerissen wurde und nach Deutschland zu ihren Eltern kam, die bereits als Facharbeiter tätig waren. Mein Vater besuchte in der Türkei lediglich die Grundschule und kam nach Deutschland, wo er als Jugendlicher eine Ausbildung zum Binnenschiffer machte. Beide sind heute sehr glücklich in Deutschland – es ist jedoch nicht schwer zu erkennen, dass es ihnen aufgrund der Sprachbarriere nicht möglich war, ihr schulisches Potential auch nur annähernd auszuschöpfen. Wie unzählige Studien belegen, haben es Kinder und Jugendliche, die aus einer Familie aus dem Arbeitermilieu stammen aus facettenreichen Gründen schwerer, eine erfolgreiche schulische, akademische und berufliche Laufbahn zu durchlaufen als solche, die aus Milieus stammen, in denen die Eltern in der Regel einen höheren Bildungsabschluss vorzuweisen haben. Ich hatte viel Glück, dass meine Eltern trotz ihrer formell eher niedrigen Bildungsabschlüsse um die Schlüsselrolle von Bildung sowohl für die weitere Karriere als auch für das gesellschaftliche Miteinander wussten und mir diese schon in jungen Jahren unaufhörlich vermittelten. Zu Schulzeiten war ich dennoch beileibe kein Musterschüler, der Fokus lag vor allem auf Sport. Die lange währende Unkenntnis über die Schlüsselrolle von Bildung war für mich die größte Hürde. Ich hatte Glück, dass meine Eltern hartnäckig waren, doch viele Eltern aus diesem Milieu sind nicht in der Lage, ihren Kindern die Chancen, die sich durch Bildung ergeben zu vermitteln, da sie diese selbst nicht genießen konnten. Daher sind es häufig engagierte Lehrerinnen und Lehrer, der Freundeskreis oder schlicht Zufälle, durch denen es den Kindern und Jugendlichen wie mir dämmert, dass Schule und Studium wichtiger sind, als man es bisher wahrnahm. Ideelle und materielle Förderung erhielt ich während meines Studiums durch die Vodafone Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Deutschlandstiftung Integration sowie durch Studiengebührenerlasse an meinen Universitäten. Mit Abstand am wichtigsten war jedoch – und das ist nicht als Floskel gemeint – die Unterstützung durch mein familiäres Umfeld sowie meinem Freundeskreis. Hierbei möchte ich betonen, dass zur Unterstützung immer auch ehrliche und sachliche Kritik gehört. Was ich den Kids sowie jungen Frauen und Männern von heute mitgeben möchte ist: wenn ihr überlegt zu studieren, euch aber aus finanziellen Gründen unsicher seid oder denkt, ihr seid nicht intelligent oder gebildet genug, dann kann ich nur Eines sagen: Glaubt mir, ihr schafft das! Können euch die Eltern nicht finanziell unterstützen? Dann informiert euch über Stipendienprogramme – und nein, auch für diese seid ihr nicht zu schlecht, denn es kommt auf viel mehr an als Noten, beispielsweise wird der familiäre Hintergrund mit in die Bewertung einfließen, euer gesellschaftliches Engagement sowie Vieles mehr. Die Stipendienprogramme klagen durchweg, dass sie zu wenig Bewerbungen erhalten, weil sich viele potentielle Bewerberinnen und Bewerber (also ihr!) nicht bewerben, da sie fälschlicherweise denken, sie seien nicht gut genug für Stipendien. Und schlimmstenfalls gibt es eine Absage und alles ist genau so, wie wenn ihr euch von vornherein nicht beworben hättet. Auch ich habe viele Absagen in meinem Leben erhalten, was ganz natürlich ist und dazugehört. Kurzum, lasst euch nicht entmutigen! Außer den Stipendien gibt es zudem viele Bildungskredite zu günstigen Konditionen und moderaten Rückzahlungsverpflichtungen. Darüber hinaus gibt es das BaföG, welches euch zusteht, wenn eure Eltern nicht so viel verdienen. Auch könnt ihr erst eine Ausbildung absolvieren, während der Ausbildung sowie danach ein wenig Geld verdienen und euch danach dem Studium widmen. Oder aber ihr denkt, ihr habt nur mittelmäßige Noten und solltet daher besser nicht studieren, auch wenn ihr es eigentlich gern würdet? Auch hier kann ich aus bester Erfahrung sagen: eure schulischen Noten sagen nicht viel über euer eigentliches Leistungsvermögen aus. Ich selbst bin nur ein Beispiel unter vielen. Ich habe viele andere Werdegänge persönlich miterlebt, in denen die Noten der Personen zum Studium schlagartig besser wurden, da sie sich endlich ihrer Leidenschaft widmen konnten und andere, in Schulzeiten bei ihnen weniger beliebte Fächer wegfielen. Auch gefällt den Personen manchmal der Aufbau der Vorlesungen und Seminare besser, wodurch sich auch ihre Leistungen deutlich verbesserten. Hört nicht auf Menschen in eurem Umfeld, die behaupten, ihr wäret nicht gut oder schlau genug – auch wenn es Familienmitglieder oder Freunde sind. Doch auch an die Erwachsenen unter uns möchte ich mitgeben: Unterstützt die Mädels und Jungs vorbehaltlos. Lasst soziales Milieu, Eltern sowie andere Gegebenheiten (welche die Kinder und Jugendliche selbst keinesfalls beeinflussen können) nicht in eure Urteile mit einfließen. Und: informiert eure Kinder oder Schülerinnen und Schüler über Stipendienprogramme, denn diese wissen zumeist nichts von den Programmen oder haben falsche Vorstellungen von Bewerbungshürden, die weniger rabiat sind als die Allermeisten vermuten. Bestärken wir die Kinder und Jugendliche in ihrem Vorhaben, denn das ist das Mindeste, was wir für sie tun können.


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