Beim #StoryFriday erzählen wir freitags Geschichten von Menschen, die aus schwierigen Verhältnissen stammen und von Chancengleichheit profitiert hätten. Heute mit Dara Kossok-Spieß:
Für viele Akademikerinnen und Akademiker bin ich sicherlich ein unwahrscheinliches Phänomen — ich bin nicht nur aus einer Arbeiterfamilie, Kind einer alleinerziehenden Mutter, sondern auch eine Migrantin. Nichtsdestotrotz oder vielleicht genau deshalb war es für mich stets klar, dass ich mein Abitur machen und studieren werde.
Neben sozialen und finanziellen Hürden war es zu meinem großen Glück auch meiner Mutter stets klar, dass Bildung in meiner Situation die einzige Lösung – ja, der einzige Aufstieg – sein kann. Meine Mutter war eine begabte Schülerin und wurde früh Mutter: Bereits mit 19 Jahren bekam sie meinen Bruder, machte eine Ausbildung und wurde Buchhalterin. Ein Studium, eine akademische Karriere – das alles kam seitdem für sie nicht mehr in Frage. Mein Bruder lernte Elektroschweißer und wurde in meinem Heimatland, Kasachstan, glücklich. Als wir jedoch nach Deutschland immigrierten, landete unsere mittelständische Familie plötzlich am unteren Ende der sozialen Leiter. Keine ausreichenden Sprachkenntnisse — kein Job; eine Ausbildung aus Zeiten der Sowjetunion — nicht anerkannt; kein Netzwerk in der neuen Heimat — keine Perspektive.
Der einzige Antrieb für meine Familie war die Perspektive, dass mit Fleiß und Bildung diese Nachteile ausgeglichen werden. Gute Schulnoten, vielseitiges außerschulisches Engagement waren Pflicht. Um mir die Lernumgebung, die förderliche Nachhilfe oder die notwendigen Bücher zu bieten, rieb meine Mutter sich zwischen mehreren schlecht bezahlten Mini-Jobs auf. Abends fragte sie mich meine Englisch- und Französisch-Vokabeln ab, ohne auch nur ein Wort dieser beiden Sprachen zu kennen.
Mein Einser-Abitur, meinen Einser-Master in Politikwissenschaften gäbe es ohne ihren Einsatz nicht. Diese Arbeitsmoral war stets mein Ansporn. Seit dem ersten Bachelorsemester habe ich stets gejobbt, oftmals auch neben freiwilligen und unbezahlten Praktika, um jegliche Nachteile im Vergleich zu finanziell gut versorgten Vollzeit-Studierenden auszugleichen. Verschiedene Stipendienprogramme ermöglichten mir meine Auslandsstudien und -praktika. Das hier, mein #StoryFriday, ist keine Aufsteiger-Geschichte. Das ist ein Indiz dafür, dass die größten Hürden oftmals auch die besten Chancen bieten.
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